Foto:   Silvia M. Lang



Ethologie

Die frei lebende Herde

Pferde sind von Natur aus Flucht- und Beutetiere, die im Herdenverband leben. Als Einzelgänger hätten sie kaum Überlebenschancen. Die Herde bietet ihnen den größtmöglichen Schutz vor Feinden und ermöglicht gleichzeitig die Pflege sozialer Kontakte. Eine frei lebende Herde besteht aus einer Gruppe von bis zu 20 Tieren, einem Leithengst, seinen Stuten und den Jungtieren. Der Leithengst ist der einzige geschlechtsreife Hengst in der Herde. Er deckt die Stuten und verteidigt seine Herde gegen eventuelle Angreifer oder Konkurrenten. Die eigentliche Führung übernimmt die Leitstute. Sie ist eine unumstrittene Autorität, deren "Anweisungen" von allen Herdenmitgliedern bedingungslos befolgt werden. Dieses Prinzip der Folgsamkeit ist für Pferde überlebenswichtig. Es bildet die Grundlage für das Zusammenleben in der Herde und bietet bei einer Flucht die größte Sicherheit.


Die Rangordnung

Alle höheren Lebenswesen, die in einer Gemeinschaft leben, haben im Laufe der Evolution eine soziale Struktur entwickelt. Fast immer eine hierarchische Form mit autoritärer Führung, in der Position, Rechte und Pflichten der Mitglieder geregelt und für eine gewisse Zeit festgelegt sind.

Bei Pferden ist das nicht anders. Die autoritäre Führung der Leitstute und die klare Regelung der Rangordnung garantieren das Prinzip der Folgsamkeit. Jeder folgt dem Ranghöheren und alle folgen der Leitstute. Dabei kann die Rangfolge sich durchaus ändern. Wichtig ist, jeder kennt seinen Platz.
Ursachen für Änderungen in der Hierarchie einer Herde sind meistens Alterungsprozesse. (Jungpferde werden eingeordnet und ältere oder schwächere Tiere werden in ihrer Position nicht mehr akzeptiert.) Bei Pferden, die auf einer Weide eine künstliche Herde bilden, sind es hauptsächlich die Neuzugänge, die einen regelrechten Dominoeffekt in der Rangordnung hervorrufen können.
Die Neuordnung ist selten das Ergebnis von heftigen Kämpfen. Sie wird meistens sehr subtil ausgemacht. Dabei geht es immer um die Frage: Wer bewegt wen? Der Ranghöhere bestimmt den Bewegungsspielraum des Rangniedrigeren. Wer ausweicht oder sich vertreiben lässt, hat den anderen als Ranghöheren akzeptiert.


Nonverbale Kommunikation

Herdentiere müssen zwangsläufig miteinander kommunizieren. Als Flucht- und Beutetiere müssen sie sich möglichst lautlos verhalten. Dieser scheinbare Widerspruch hat dazu geführt, dass Pferde im Laufe der Evolutionsgeschichte ihre eigene, lautlose Sprache entwickelt haben. Eine Körpersprache, die im Wesentlichen aus Mimik und Gestik besteht. Aber auch die Stellung zueinander (Position und Winkel) haben eine Signalwirkung und sind von großer Bedeutung.
Pferde beobachten ihre Umwelt sehr aufmerksam. Sie achten auf kleinste Nuancen und haben ein äußerst feines Gespür für Stimmungen. Das führt häufig dazu, dass sie unsere Absichten bereits erkennen, bevor wir uns der Handlung selbst bewusst werden.

Die folgenden Bilder zeigen nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielfalt der körpersprachlichen Signale. Dabei sind die Botschaften, die von Augen, Ohren, Nüstern, Lippen, Kopf-, Hals-, Bein- und Schweifhaltung ausgehen, immer nur im Kontext mit dem gesamten Körper zu sehen. So kann zum Beispiel ein angewinkeltes Hinterbein sowohl eine totale Entspannung als auch eine aggressive Drohung bedeuten. Angelegte Ohren sind nicht unbedingt eine Drohgebärde, und ein panisch wirkendes Auge signalisiert nicht immer eine Fluchtreaktion. Erst in Verbindung mit der dazugehörigen Körperhaltung lassen sich Verhaltensweisen eindeutig zuordnen.


Häufig zu beobachtende Ausdrucksformen der Körpersprache:

Augen


ruhig, entspannt

angespannt

aggressiv

leidend



Mimik und Gestik


entspannt

zugewandt

aufmerksam

angespannt



neugierig

aufgeregt



unzufrieden

drohend

aggressiv



Sozialverhalten


Kontaktaufnahme

Sympathie

Freunde



Rangordnung


Rangfolge

Wer bewegt wen?

Aggression



Fazit

Bei der Haltung von Pferden müssen ihre natürlichen Bedürfnisse unbedingt berücksichtigt werden. Genügend Auslauf und Bewegung, soziale Kontakte zu Artgenossen und ein ausgewogenes, über den Tag verteiltes Futterangebot sind die Grundvoraussetzungen für ein gesundes, ausgeglichenes Pferd.
Bei der Ausbildung ist das Wissen um ihr genetisch bedingtes Verhalten von großem Vorteil. Besonders bei der Bodenarbeit kann der Mensch sich die Herdengesetze zu Nutzen machen. Das Prinzip der Rangordnung und der Folgsamkeit sowie die Kommunikation untereinander bilden dafür die Grundlage. Voraussetzung ist, dass der Mensch vom Pferd als ranghöher anerkannt wird. Dominanz sollte dabei aber nicht im Sinne von Beherrschen, sondern als Führen und Beschützen verstanden werden.
(Ausführliche Beschreibung siehe:  Kommunikation)