Lernverhalten

Definitionen

Lernen ist für Mensch und Tier überlebenswichtig! Die angeborenen, genetisch festgelegten Verhaltensweisen (Reflexe und Instinkte) bieten zwar eine Grundausstattung für den Start ins Leben, sie reichen aber nicht aus, um sich auf neue Lebenssituationen einzustellen und sich den ändernden Bedingungen der Umwelt anpassen zu können. Dafür ist ein ständiger und lebenslanger Lernprozess notwendig.
Lernen dient dazu, das eigene Leben zu optimieren. Es findet nur zum Teil bewusst und willentlich statt. Vieles geschieht im Unterbewusstsein und sogar im Schlaf. Im Folgenden geht es nur um das bewusste, planmäßige Lernen. Darunter versteht man eine dauerhafte Veränderung und Aneignung von (vorher nicht gezeigten) Verhaltensweisen, die durch Einsicht, Erfahrung und Wiederholung geprägt worden sind.
Intelligenz, Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit und die angeborene Neugier sind die wesentlichen Faktoren, die das Lernverhalten beeinflussen.

Intelligenz

Intelligenz lässt sich auf unterschiedliche Weise definieren und beurteilen. Gemessen an menschlichen Maßstäben haben Pferde keinen besonders hohen Intelligenzquotienten. Vorausschauendes Denken und Planen ist ihnen aufgrund ihrer Gehirnstruktur nicht oder nur sehr begrenzt möglich. Sie leben im Jetzt und denken nicht in die Zukunft.
Sie besitzen eine andere Form der Intelligenz. Als Herdentiere haben sie im Laufe der Evolution eine ausgeprägte soziale Intelligenz entwickelt. Sie haben ein äußerst empfindliches Wahrnehmungsvermögen, mit dem sie ihre Artgenossen und auch uns Menschen beobachten und einschätzen. Selbst subtile Reaktionen und sogar Stimmungen bleiben ihnen nicht verborgen.
Diese Fähigkeiten und Verhaltensweisen bilden die Grundlage für eine feine Kommunikation untereinander, aber auch zwischen Mensch und Pferd.
Intelligenz ist nur zum Teil genetisch bedingt. Die geistige Entwicklung des Pferdes wird im hohen Maße durch sein Umfeld beeinflusst, sowohl im Positiven wie auch im Negativen. Zu frühes Absetzen, ein ständig wechselnder Herdenverband, ein zu knappes Futterangebot oder unausgewogene Ernährung, Überforderung beim Reiten und beim Training, aber auch Vernachlässigung durch den Menschen behindern die natürliche Entfaltung der Intelligenz.

Gedächtnis

Sinneseindrücke, Erfahrungen und Erlerntes werden im Gedächtnis abgespeichert. Alle Informationen gelangen zunächst ins Kurzzeitgedächtnis. Dort verbleiben sie für maximal zwei bis drei Sekunden. Danach werden sie vergessen. Nur relevante, oder mehrfach wiederkehrende Informationen finden den Weg ins Langzeitgedächtnis und werden dort mit bereits gemachten Erfahrungen verknüpft.
Sowohl das Kurzzeit- als auch das Langzeitgedächtnis unterscheiden sich erheblich von dem eines Menschen. Das Kurzeitgedächtnis ist beim Pferd "ultrakurz", das Langzeitgedächtnis dagegen ausgesprochen "lang". Beides ist beim Lernen und bei der Ausbildung zu berücksichtigen.
Lob (und Strafe) müssen deswegen immer unmittelbar erfolgen, damit das Pferd den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung erkennen kann. Eine Verzögerung von mehr als drei Sekunden würde das Pferd bereits mit der folgenden Handlung verbinden. Beispiel: Wird ein Pferd für eine gelungene Übung erst angehalten und dann gelobt, wäre aus Sicht des Pferdes nicht die Übung, sondern das Halten die gewünschte Reaktion.
Üben ebnet den Weg ins Langzeitgedächtnis. Außerdem wird die Qualität des Erlernten verbessert. Um Übungen und Lektionen zu festigen, sind Wiederholungen, aber auch Pausen notwendig. (Die Abspeicherung findet in der Lernpause statt!) Deshalb sollte beides in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Auch hier ein Beispiel: Wird einem Pferd das Rückwärtsrichten beigebracht, sollte nicht mehr als drei- bis viermal hintereinander geübt werden. Nach einer kleinen Pause muss erst einmal eine Abwechslung erfolgen, möglichst in einem frischen Vorwärts. Danach kann die Übung gegebenenfalls noch einmal wiederholt werden. Am nächsten oder übernächsten Tag wird das Rückwärtsrichten wieder in gewohnter Weise in den Trainingsplan eingebunden. Ein größerer zeitlicher Abstand wäre ungünstig. Der Vorteil der Wiedererkennung ginge verloren; das Pferd würde die Übung jedes Mal als etwas Neues empfinden.
Beim Lernen werden auch die dabei gemachten Erfahrungen im Langzeitgedächtnis abgespeichert und verknüpft. Eine positive Lernatmosphäre ist daher die beste Voraussetzung für ein erfolgreiches Training.

Konzentration

Für das bewusste Lernen ist es notwendig, seine Aufmerksamkeit für eine bestimmte Zeit auf eine Sache lenken zu können. Dies erfordert eine geistige Anstrengung, die wiederum zur Ermüdung und somit zum Nachlassen der Konzentration führt. Konzentrationsfähigkeit und Konzentrationsdauer sind individuell sehr unterschiedlich und auch vom Alter abhängig. Zusätzliche Faktoren, die die Konzentation beeinflussen sind Ablenkung, Motivationsmangel, Überlastung, gesundheitliche und emotionale Probleme. Sie führen zu einer Beeinträchtigung der Konzentration. Eine ruhige Umgebung, kurze Trainingseinheiten, unterbrochen durch Pausen und motivierende Belohnungen wirken sich dagegen vorteilhaft aus.
Konzentration lässt sich aber auch erlernen und durch Übung und Erfahrung steigern.

Pferde sind reizoffen. Als Fluchttiere müssen sie ihre Umgebung ständig im Blick behalten und auf verdächtige Geräusche achten. Es entspricht ihrer Natur, wenn sie sich nur schwer auf eine Sache konzentrieren können. Trotzdem muss der Mensch beim Lernen ihre Aufmerksamkeit einfordern. Aufmerksamkeit ist die Grundvoraussetzung zum Lernen! Die Konsequenz ist allerdings genauso wichtig: Aufhören, sobald die Konzentration nachlässt!

Neugier

Neugier ist fast allen Lebewesen angeboren. Es ist das durch einen Reiz ausgelöste Verlangen, Neues zu erfahren und insbesondere Verborgenes kennenzulernen. Für das Lernen bildet die Neugier eine wichtige Grundlage. Sie erzeugt eine aus sich selbst entstehende (intrinsische) Motivation.
Pferde gelten als besonders neugierig. Diese Tatsache sollte man sich bei der Ausbildung zu Nutze machen. Gerade bei der Bodenarbeit lässt sich die Neugier besonders gut in den Lernprozess einbinden. So sollte ein Pferd immer Gelegenheit erhalten, unbekannte Gegenstände ausgiebig zu untersuchen (Beäugen, Schnuppern, Berühren, Hufe darauf setzen, etc.). Dabei darf kein Zwang ausgeübt werden, das Pferd soll aus eigenem Antrieb handeln. Geduld und Zeit sind hier gut investiert und schaffen Vertrauen. Ein zusätzliches Lob für ein auch nur ansatzweise richtiges Verhalten sollte auf keinen Fall fehlen.