Lernmethoden
Allgemeines
Lernmethoden sollen das Lernen effizienter gestalten. Sie müssen dem Lernziel und dem inviduellen Lernverhalten des Lernenden
(Lerntyp) angepasst sein. Zu diesem Zweck sind zahlreiche Konzepte entwickelt worden. In den letzten Jahren haben Erkenntnisse
der Neurowissenschaften in erheblichem Maß dazu beigetragen, Lernmethoden zu verbessern und wissenschaftlich fundiert zu begründen.
Die wichtigsten Lernarten sind nachstehend aufgeführt.
Lernen durch Einsicht
Lernen durch Einsicht stellt die höchste Stufe des Lernens dar. Es bedeutet, ein Problem durch Nachdenken lösen zu können.
Im Tierreich sind nur Menschenaffen, asiatische Elefanten und einige Walarten dazu fähig. Für die Ausbildung von Pferden
hat diese Methode keine Bedeutung. Sie ist hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Lernen durch Nachahmung
Nachahmung setzt aufmerksame Beobachtung voraus. Das Fohlen lernt auf diese Weise vieles von seiner Mutter. Es schaut
bei der Nahrungsaufnahme zu und lernt Gräser zu unterscheiden. Es versucht aber auch, die Wesensart und das Sozialverhalten
der Mutter zu kopieren. Deswegen ist es wichtig, dass eine Zuchtstute nicht nur gute Vererbungseigenschaften besitzt, sondern auch eine gute Erziehung erhalten hat.
Bei der Ausbildung von Pferden wird diese Methode hauptsächlich zur Angstbewältigung eingesetzt. Ein erfahrenes Pferd
übernimmt die Vorbildfunktion und geht z. B. über eine Plane, durchs Wasser oder in einen Anhänger. Interessant ist, dass Pferde
nur das Verhalten von ranghöheren Artgenossen kopieren. Ein zusätzliches Argument dafür, dass der Mensch vom Pferd
als ranghöher anerkannt und respektiert werden sollte.
Es gibt aktuelle Versuche, die Technik des Beobachtungslernen zu einer neuen Trainingsform auszuarbeiten (Model-Rival-Technik).
Dabei wird das "Vorbildpferd" zum Konkurrenten (Rivalen) für das Beobachtungspferd. Beide Pferde konkurrieren um die
Aufmerksamkeit und die Belohnung des Trainers. Eine Methode, die mit großem Aufwand und sehr viel Fachkenntnis verbunden
ist.
Gewöhnung (Habituation)
Gewöhnung ist nicht mit Abstumpfung oder Erduldung gleichzusetzen. Gewöhnung ist für Pferde ein wichtiger Lernprozess.
Gerade als Fluchttiere müssen sie lernen, sich den ändernden Umweltbedingungen anzupassen. Würden sie dazu nicht fähig
sein, wären sie ständig in Angst oder auf der Flucht und hätten keine Zeit mehr für die täglichen Bedürfnisse ihres Lebens.
In der Herde wird der Lernvorgang zusätzlich durch Stimmungsübertragung von den älteren, erfahrenen
Pferden unterstützt. Bleiben z. B. die ranghöheren Pferde in kritischen Situationen ruhig, überträgt sich ihr
Verhalten auf den Rest der Gruppe.
Bei der Ausbildung eines Pferdes ist die Habituation eine häufig angewandte Lernform. Oftmals wird sie vom Menschen
gar nicht bewusst wahrgenommen. So hat das Pferd beispielsweise gelernt, im Gelände immer an einer bestimmten Stelle
anzugaloppieren. Oder es hebt beim Hufeauskratzen unaufgefordert bereits das nächste Bein. Pferde neigen zum Antizipieren und die Liste
des Gewöhnungslernens ließe sich beliebig fortsetzen. Das eigentliche Ziel ist es aber, dem Pferd beizubringen, auf eine
Vielzahl von Reizen
nicht zu reagieren (Halfter, Trense, Sattel, bestimmte Geräusche, Autos etc.).
Grundsätzlich stehen dafür drei Methoden zur Verfügung:
Die Desensibilisierung ist eine sehr effektive und eine vergleichsweise gefahrlose Methode, um ein Pferd an bedrohlich wirkende Situationen zu gewöhnen.
Grundlage der Desensibilisierung ist das Prinzip der gestuften Reizkonfrontation.
Bei dieser Vorgehensweise wird das
Pferd in kleinen Lernschritten und mit viel Geduld an die neue, angsteinflößende Situation gewöhnt. Für jeden Schritt in die richtige Richtung muss das Pferd sofort gelobt und mit einer kleinen Pause belohnt werden. Erst, wenn das Pferd wieder ruhig und entspannt ist, wird zum nächsten Schritt übergegangen. Er sollte eine geringfügige Reizsteigerung beinhalten. Auf diese Weise nähert man sich Stufe für
Stufe dem eigentlichen Ziel. In keiner Phase darf Zwang ausgeübt oder die Toleranzgrenze des Pferdes überschritten werden.
Es soll ja gerade lernen, seine Angst abzubauen. Die natürliche Neugier des Pferdes ist hierbei von großem Vorteil und sollte in den Lernprozess einbezogen werden.
(Siehe auch:
Reitstunde-online.de / Bodenarbeit / Gelassenheitstraining)
Die Gegenkonditionierung ist streng genommen keine Habituation. Es ist eine andere Lernform, jedoch mit dem gleichen Ziel.
Bei der Gegenkonditionierung wird das Pferd nicht stufenweise an eine angstauslösende Situation gewöhnt, sondern es wird
dem unangenehmen oder angstbesetzten Reiz von Anfang an mit voller Intensität ausgesetzt. Gleichzeitig versucht man, es mit einem
angenehmen Reiz (Futter, Leckerli) positiv zu beeinflussen.
Eine fragwürdige Methode, weil die meisten Pferde unter Stress gar nicht für angenehme Reize empfänglich sind. Außerdem ist ein
angstbesetzter Reiz fast immer mit einer Abwehrreaktion des Pferdes verbunden. Bei nicht exaktem Timing der Belohnung besteht daher die Gefahr, diese nicht erwünschte Abwehrreaktion zu verstärken statt sie zu unterdrücken.
Es ist die alte Art des Aussackens, bei der ein Pferd sich nicht wehren kann. Auch hierbei wird es dem angstbesetzten Reiz von Anfang an mit voller Intensität ausgesetzt. Es wird so lange mit der Situation konfrontiert, bis es resigniert. Ein wirkliches Lernen hat dabei nicht stattgefunden, von Motivation ganz zu schweigen. Eine Methode, die grundsätzlich abzulehnen ist!
Sowohl bei der Gegenkonditionierung als auch bei der Reizüberflutung besteht eine erhöhte Panikgefahr und damit auch ein erhöhtes Verletzungsrisiko. Außerdem kann es bei der Reizüberflutung zu dem Phänomen der "erlernten Hilflosigkeit" kommen. Ein Zustand, der mit Angst, Apathie und Depressionen verbunden ist.
Konditionierung (Assoziatives Lernen)
Die Konditionierung wird als einfachste Lernart bezeichnet. Konditionierungsprozesse verlaufen meistens unbewusst und werden vom Lernenden gar nicht wahrgenommen. Beim Training mit Tieren wird das assoziative Lernen sehr erfolgreich eingesetzt. Man unterscheidet zwischen zwei Methoden: Der klassischen und der operanten Konditionierung. In beiden Fällen wird ein bestimmtes Verhalten mit einem Reiz verknüpft.
- Klassische Konditionierung
Der russische Neurologe und Physiologe Iwan Petrowitsch Pawlow (1849 - 1936) hat als Erster die Zusammenhänge des assoziativen Lernens untersucht und dokumentiert. Sein als "Pawlowscher Hund" bekannt gewordenes Experiment bildete die Grundlage seiner Theorien, für die er später mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.
In seinem Experiment wurde die Fütterung der Versuchshunde durch einen Glockenton angekündigt. Schon nach wenigen Wiederholungen kam es zu folgendem Phänomen: Die für die Verdauung notwendige Speichelproduktion setzte nicht erst beim Anblick des Futters
ein, sondern wurde bereits beim Ertönen der Glocke ausgelöst - und zwar auch dann, wenn kein Futter verabreicht wurde.
Diesen Vorgang bezeichnete Pawlow als Konditionierung.
Die klassische Konditionierung ist ein Reiz-Reaktions-Lernen. Mit Hilfe eines (neutralen) Reizes wird eine genetisch festgelegte Reaktion (Reflex) ausgelöst.
Bezogen auf das Experiment stellt der Glockenton für den Hund zunächst einen neutralen, bedeutungslosen Reiz dar. Das Speicheln beim
Anblick des Futters ist dagegen ein natürlicher Reflex. Erst durch mehrfache Wiederholung kommt es zu einem Lernprozess und dadurch zu einer Verknüpfung beider Reize (Glocke und Futter). Der ursprünglich neutrale Reiz des Glockentons wird damit zu einem konditionierten Reiz, auf den der Hund durch Speicheln reagiert.
Pferde sind wahre Meister im Reiz-Reaktions-Lernen. Sie lassen sich sogar über mehrere Stufen konditionieren. Bei der Fütterung
kommt es z. B. nicht nur beim Anblick der Futterschüsseln zum üblichen Grummeln und Scharren. Bereits beim Öffnen der Futtertonne
oder sogar schon beim Betreten des Stalls zur Futterzeit zeigen sie ihre Erwartungshaltung. Pferde sind somit in der Lage, die Verknüpfung über mehrere Reize nachzuvollziehen.
Eine Konditionierung kann auch angstbesetzt sein. Schon der Anblick des Kittels oder der Geruch eines Tierarztes oder das Auflegen eines Sattels kann zu Abwehrreaktionen führen, wenn das Pferd unangenehme Erfahrungen damit verbindet.
Allgemein gilt: Ein neutraler Reiz kann durch die klassische Konditionierung zu einem negativ oder positiv besetzten Stimulus werden.
Bei der Ausbildung von Pferden wird das Prinzip der klassischen Konditionierung sehr häufig angewandt.
Das Pferd soll lernen, auf Reiterhilfen willig und prompt zu reagieren. Auch hier ist die Hilfengebung - sofern sie nicht mit Schmerzen verbunden ist - zunächst ein neutraler Reiz, auf den das Pferd durch wiederholtes Üben konditioniert werden soll. Die Reaktion darauf, z. B. das Angaloppieren, soll möglichst reflexartig geschehen.
Es ist keine klassische Konditionierung im ursprünglichen Sinn, weil das Angaloppieren kein natürlicher Reflex ist, sondern
ein gewünschtes Verhalten darstellt. Die Bezeichnung Signallernen wäre in diesem Zusammenhang zutreffender.
Der amerikanische Psychologe Edward Lee Thorndike (1874 - 1949) hat etwa zur gleichen Zeit wie Pawlow ähnliche Experimente mit Katzen unternommen.
Er setzte hungrige Katzen in einen geschlossenen Käfig, vor dem er Futter hingestellt hatte.
Die Katzen konnten sich aus dem Käfig nur befreien, wenn sie den mehr oder weniger komplizierten Schließmechanismus entdeckt hatten. Nach erfolgreicher Öffnung des Käfigs wurden sie mit dem Futter belohnt. Während die Katzen das Öffnen des Käfigs beim ersten Mal durch Versuch und Irrtum herausgefunden hatten, lernten sie in den folgenden Versuchen immer schneller, das Schließsystem gezielt zu bedienen.
Bei der operanten Konditionierung ist die Reihenfolge zwischen Reiz und Verhalten genau umgekehrt zur klassischen Konditionierung. Die Hunde von Pawlow haben gelernt, dass nach einem bestimmten Reiz (Glockenton) ein bestimmtes Ereignis (Fütterung) eintritt. Thorndikes Katzen haben dagegen gelernt, dass ein bestimmtes Verhalten (Schließmechanismus bedienen) eine bestimmte Konsequenz (Fütterung) zur Folge hat. Sie lernten durch die Folgen ihres eigenen Handelns. Die operante Konditionierung wird daher auch als Lernen am Erfolg oder als Feedback-Lernen bezeichnet.
Thorndike hat aus seinen Experimenten drei Gesetzmäßigkeiten abgeleitet. Sein wichtigstes Gesetz "law of effect" lautet in verkürzter Form:
- Verhaltensweisen, die mit angenehmen Erfahrungen verbunden sind, werden wiederholt.
- Unangenehme Erfahrungen führen zur Einstellung des Verhaltens.
Daraus haben sich in der Praxis vier grundsätzliche Möglichkeiten zur Beeinflussung von Verhaltensweisen herauskristallisiert. Die Fachbegriffe erscheinen vielleicht etwas abstrakt, sie haben jedoch in der Lerntheorie ihre feste Bedeutung. Positiv und negativ sind wertfrei und nicht im Sinne von gut und schlecht zu verstehen, sondern eher mathematisch im Sinne von hinzugeben bzw. wegnehmen.
- Positive Verstärkung
Durch eine Belohnung soll das Pferd zu einer Verstärkung bzw. zu einer Wiederholung seines zuvor gezeigten Verhaltens veranlasst werden. Wichtig ist, dass das Pferd die Belohnung auch als solche empfindet. (Auf das übliche Schulterklopfen muss es erst konditioniert werden.) Das vorherrschende Gefühl bei der positiven Verstärkung ist die Freude.
- Negative Verstärkung
Ein vorher aufgebauter Druck wird entfernt. Der nachgebende Zügel beim Reiten ist ein typisches Beispiel. In dem Moment, indem das Pferd im Genick nachgibt, wird die Zügel-
verbindung weicher. Das Pferd empfindet Erleichterung.
- Negative Strafe
Es ist eine Bestrafung durch Entzug. Dem Pferd wird etwas Angenehmes verweigert. Es folgt keine Belohnung, sondern das Pferd wird durch Nichtbeachtung bestraft. Das hervorgerufene Gefühl ist die Enttäuschung.
- Positive Strafe
Es ist eine Strafe im eigentlichen Sinn. Z. B. durch den zweckentfremdeten Gebrauch von Peitsche, Gerte oder Sporen. Auch das scharfe Zurechtweisen über die Stimme zählt dazu. Das beherrschende Gefühl bei dieser Vorgehensweise ist die Angst.
Vergleicht man bei den einzelnen Vorgehensweisen die dabei entstandenen Gefühle, so lässt sich allgemein sagen:
- Verstärkungen motivieren und sichern den Lernerfolg.
- Bestrafungen verunsichern und führen häufig zu neuen Problemen (Steigen, Buckeln etc.).
Trotzdem haben alle Vorgehensweisen ihre Berechtigung.
Bei der Bodenarbeit kann die positive Verstärkung sehr gut genutzt werden, weil die Nähe zum Pferd gegeben ist.
Man arbeitet quasi auf Augenhöhe und kann ohne Zeitverzögerung loben und auch mal ein Leckerli zustecken.
Die negative Verstärkung wird hauptsächlich beim Reiten und beim Longieren eingesetzt. Hilfen werden sofort eingestellt, wenn das Pferd die gewünschte Reaktion zeigt.
Die negative Strafe dient vorwiegend zum Abstellen von unerwünschtem Verhalten, und die positive Bestrafung bleibt Bedrohungen und Respektlosigkeit gegenüber dem Menschen vorbehalten.
Die sekundäre Verstärkung ist eine besondere Form der operanten Konditionierung. Oftmals ist es beim Training nicht möglich, ein Pferd mit einem wirkungsvollen, primären Verstärker (Kraulen, Apfelstückchen etc. ) zeitnah zu loben. (Beim Longieren ist z. B. der räumliche Abstand zu groß und beim Reiten muss man
dafür die Zügelverbindung aufgeben und die Sitzposition verändern.) Für ein unmittelbares Lob auf ein gewünschtes Verhalten bleibt also nur die Stimme. "Brav" oder "fein"
wird das Pferd jedoch zunächst nicht als Lob empfinden. Es muss erst darauf konditioniert werden. Dies geschieht in einem unabhängigen Lernprozess, bei dem die Gabe eines Leckerlis mit dem Wort "brav" oder "fein" angekündigt wird. Hat das Pferd den Zusammenhang erkannt, genügt das verbale Lob. Die eigentliche Belohnung kann dann zeitlich verzögert erfolgen oder auch mal ganz ausgesetzt werden. Das Klickertraining und auch das Schulterklopfen funktionieren nach dieser Methode.
Die variable Verstärkung bietet eine weitere Möglichkeit, das Lernen interressant zu gestalten und die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Im Gegensatz zur kontinuierlichen Verstärkung wird hier nicht jede gewünschte Reaktion verstärkt, sondern beispielsweise nur jede dritte oder fünfte Reaktion. Auch Unterschiede in Quantität und Qualität der Belohnung führen zu mehr Aufmerksamkeit. Pferde lernen besonders intensiv, wenn sie nicht genau vorhersehen können, welche Art von Belohnung sie erwartet. Der Überraschungseffekt an sich erzeugt bereits eine hohe Motivation. Wenn sie zusätzlich gelernt haben, dass gute Leistungen auch entsprechend honoriert werden, ist die Anstrengung dafür besonders groß. Vorraussetzung ist natürlich, dass man die geheimen Wünsche seines Pferdes kennt.
Generalisierung
Unter Generalisierung versteht man in der Lernpsychologie, dass ein erlerntes Verhalten auch in anderen, ähnlichen Situationen beibehalten wird. Unterschieden wird zwischen einer Reiz- und einer Reaktionsgeneralisierung. Beide Methoden werden bei der Ausbildung des Pferdes genutzt.
Bei der Reizgeneralisierung soll das Pferd lernen, auf geringfügig geänderte Reize mit dem gleichen Verhalten zu reagieren. (Beispiel: Die Sensibilisierung auf immer feinere Hilfen.) Bei der Reaktionsgeneralisierung geht es darum, das gleiche Verhalten in unterschiedlicher Umgebung (Halle, Turnierplätze, Gelände, Verkehr etc.) zuverlässig abfragen zu können.
Die Generalisierung trägt dazu bei, das Lernverhalten zu festigen.
Löschung (Extinktion)
Löschung und Konditionierung stehen im engen Zusammenhang. Hat ein Pferd erst einmal ein Verhalten gelernt, mit dem es Erfolg gehabt hat, versucht es, dieses Verhalten beizubehalten (z. B. Betteln nach Futter). Wird das Futter eines Tages verweigert, kommt es meistens zum Löschungstrotz. Das Pferd wiederholt und verstärkt seine Bemühungen, ist frustriert und wird häufig sogar aggressiv. Erst durch eine lange Phase des Nichtbeachtens lernt das Pferd, dass es mit seinem Verhalten nichts mehr bewirkt. Es ist also kein Vergessen oder Verlernen, sondern ein Lernen durch negative Bestrafung.
Tipps für die Praxis
Bei der Umsetzung der theoretischen Ausbildungskonzepte haben sich ein paar Techniken und Vorgehensweisen als sehr sinnvoll erwiesen. Sie gelten hauptsächlich in Bezug auf die Bodenarbeit, sind aber in vielen Bereichen auch beim Reiten anwendbar. Nachfolgend die wichtigsten Tipps in Kurzfassung:
- Aufmerksamkeit
Vor jeder Übung zuerst die Aufmerksamkeit des Pferdes herstellen. Es ist eine Grundvoraussetzung zum Lernen! Das bedeutet im Umkehrschluss: Aufhören, wenn die Konzentration nachlässt. Bei jungen Pferden beträgt die Konzentrationsdauer maximal 20 Minuten. Aber, auch Konzentration lässt sich erlernen.
- Aktion - Reaktion
Wer bewegt wen? Die Frage entscheidet über die Rangfolge bei Pferden. Wer ausweicht oder sich bewegen lässt, hat den anderen als Ranghöheren akzeptiert. Deswegen sollte grundsätzlich der Mensch agieren und das Pferd reagieren.
Ein Beispiel: Beim Longieren drängelt das Pferd zur Mitte. Meistens weicht der Longenführer zurück, um die Verbindung zum Pferdemaul wieder herzustellen.
Viel sinnvoller ist es, mit der Peitsche auf die Pferdeschulter zu weisen oder durch einen energischen Schritt nach vorn, das Pferd auf die Zirkellinie zurückzudrängen.
- Raum nehmen - Raum geben
Das Pferd ist ein Fluchttier. Wird es räumlich eingeengt, wird es immer nach einem Ausweg suchen. Geht man energisch auf das Pferd zu, wird es weichen. Gibt man dem Pferd dagegen Raum, indem man sich von ihm entfernt, wird es einem mit hoher Wahrscheinlichkeit folgen. Auf diese Weise lässt sich die Richtung und auch die Gangart allein über die Körpersprache beeinflussen
(siehe auch: Kommunikation).
- Hilfengebung
Ob bei der Bodenarbeit oder beim Reiten, die Hilfengebung sollte immer nur kurz, eindeutig und impulsartig erfolgen. Lieber einmal herzhaft die Sporen einsetzen, als ständig mit den Schenkeln zu klopfen. Auf eine korrekt gegebene Hilfe sollte immer eine Reaktion erfolgen! Ansonsten lernt das Pferd, die Hilfen zu ignorieren. An Stelle der Konditionierung tritt dann der Lernprozess der Gewöhnung. Das Pferd stumpft ab.
- Step by Step
Zu Beginn einer neuen Übung weiß das Pferd oft nicht, was von ihm verlangt wird. Deswegen muss anfangs jeder noch so kleine Schritt in die richtige Richtung überschwänglich belohnt werden. Unerwünschte Reaktionen werden zunächst ignoriert. Die Qualität der Lektion ist erst einmal nebensächlich, sie entsteht mit der Zeit durch wiederholtes Üben.
Auch bei der Konditionierung mit Hilfe der negativen Verstärkung hat dieses Prinzip Vorteile. Wird der unangenehme Reiz nicht sofort mit voller Intensität eingesetzt, sondern stufenartig gesteigert, kann das Pferd sich besser auf die Situation einstellen. (Pat Parelli spricht von vier Phasen der freundlichen Bestimmtheit.)
Beispiel: Wenn die Gangart eines Pferd nicht fleißig genug ist, ist es besser, den Druck über Stimme, Schenkel, Sporen und der Gerte schrittweise zu erhöhen als gleich die Gerte einzusetzen. Wichtig ist, beim ersten richtigen Ansatz - egal in welcher Stufe - die Hilfengebung sofort einzustellen. Das Pferd spürt Erleichterung und wird dadurch indirekt für seine Bemühung belohnt. Beim erneuten Nachlassen des Fleißes beginnt man wieder mit der niedigsten Stufe. Das Pferd lernt auf diese Weise sehr schnell, auf feine Hilfen zu reagieren.
(Weitere Beispiele siehe: Reitstunde-online.de/Bodenarbeit/Am Führseil.)
- Richtiges Timing (Kontiguität)
Das Pferd hat ein ultrakurzes Kurzzeitgedächtnis. Unwichtige Informationen hat es bereits nach zwei bis drei Sekunden wieder vergessen. Lob und Tadel müssen deshalb unmittelbar erfolgen, damit es den Zusammenhang zu seinem vorangegangenen Verhalten erkennen kann. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das Pferd das Lob oder auch den Tadel mit der nachfolgenden Handlung verbindet.
Beispiel: Ein Pferd wird für eine gelungene Übung angehalten und gelobt. Aus Sicht des Pferdes wird das Anhalten, aber nicht die gelungene Übung belohnt.
- So wenig Druck wie möglich, so viel wie nötig
Den richtigen Ton im Umgang mit dem Pferd zu treffen, erfordert viel Einfühlungsvermögen. Es ist eine Gratwanderung zwischen einer enrgischen Aufforderung und einer freundlichen Einladung. Zu viel Druck bereitet Angst und macht das Lernen unmöglich. Zu wenig Druck führt dazu, dass das Pferd den Menschen nicht ernst nimmt. Es gibt kein Patentrezept. Der richtige Weg muss für jedes Pferd individuell gefunden werden. Die nachfolgende Grafik soll diesen Zusammenhang noch einmal verdeutlichen.
Lernbereitschaft = Aufmerksamkeit * Entspannung

(gezeichnet nach Originalvorlage von Prof. Dr. Uta König von Borstel)